Judith stand auf dem Bahnhof und wartete auf die S-Bahn.Sie musste wie jedes Jahr Ende November zur Jahresabschlussveranstaltung des Steuerbüros, das für die Arztpraxen, für deren Buchhaltung sie sich verantwortlich zeichnete, die Bilanzen erstellte. Diesmal hatte sie wichtige Unterlagen dabei. Sie fuhr selten nach München. Seit der Trennung von Peter vor anderthalb Jahren wohnte sie wieder auf dem Gehöft bei ihren Eltern. Es gab immer viel zu tun, besonders seit ihre Mutter so krank war. Ein ICE rauschte mit tosendem Brausen vorbei. Erschrocken trat sie zwei Schritte zurück. Der Sog, der von ihm ausging, machte ihr angst. Neben ihr telefonierte ein junger, adretter Mann mit pechschwarzen Haar auf seinem Handy. "Ich wollte nur mal nachfragen, wie im Moment so dein Status ist...", hörte sie ihn sagen. Gute Frage, dachte sie und seufzte. Wegen der laufenden Betriebsprüfung in ihrer Lieblingspraxis war sie wahrscheinlich kurz davor zusammenzubrechen. Dabei stand sie ständig unter Strom. Die Nacht, die Zeit, in der sie schlief, begrenzte sich auf höchstens vier Stunden. Sie war selbst erstaunt darüber, wie konzentriert sie den Arbeitstag, der häufig länger als zehn Stunden dauerte, durchhielt. Sie stand jeden Morgen etwas früher auf und legte sich abends atwas später schlafen. Sie beschäftigte sich auf dem Hof und im Haushalt, bis es hell wurde, ehe sie ins Büro fuhr. Sie hasste das Autofahren in der Dunkelheit, es strengte sie ungeheuer an. Und da sie während der kalten Jahreszeit bereits den Heimweg bewältigen musste, wenn es dunkel war, gönnte sie sich wenigstens den Luxus einer entspannten Anreise. Am Sonntag war der erste Advent. Auch wenn schon die Festbeleuchtungen an den Häusern und Bäumen angebracht waren, sie vermochten es nicht im Geringsten, ihr das Gefühl einer einer friedlichen Weihnachtszeit zu vermitteln. Sie saß in der S-Bahn und machte sich Notizen in ihren Kalender, Termine, für die nächsten Wochen. Heute Morgen war sie so durcheinander gewesen, dass sie sogar vergessen hatte, etwas zu lesen mitzunehmen. Sie hatte immer ein Buch dabei, auch wenn sie nur die kleinste Chance witterte, irgendwo schmökern zu können. Sie packte den Kalender in ihre Tasche und blickte auf. Der hübsche, dunkle Typ lächelte ihr zu. Sein Handy klingelte. "Ich wollte nur mal nachfragen, wie im Moment so dein Status ist...", hämmerte es in ihrem Kopf. Sie dachte an ihr Leben und den Zug, der vorhin an ihr vorbeigerast war.
diese Geschichte über den Krisenstatus gefällt mir sehr gut, sie ist sehr lebendig, anregend und kurzweilig geschrieben. So kurze Geschichten gelingt es mir leider nicht zu schreiben, darum bewundere ich alle, die das können
Liebe Ingrid Eindringlich geschrieben. Du vermittelst mir eine sich selbst vergessende junge Frau. Und zwar so, das ich annehme es handelt sich (vielleicht etwas abgewandelt) um eine Begebenheit/Zeit aus deinem Leben.
Der vorbeibrausende Zug ist synonym für die kurzweilig vorbeirauschenden Stunden und Tage, wenn man den stressigen Alltag für einen Moment vergisst und sich besinnt. Kompakt einen Moment beschrieben.
Danke, Ihr beiden für Eure Kommentare. Die Geschichte hat tatsächlich etwas Wahres, der vorbeirasende Zug und der junge Mann mit dem Handy, das habe ich dann irgendwie zu verwerten versucht.
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