Der Sonntag war Alex' einziger freier Tag gewesen. Er hatte ausgeschlafen, während Petra das Mittagessen vorbereitete, zu dem sie Stefan und Astrid eingeladen hatten. Anschließend hatten sie zu viert einen Ausflug in die Dübener Heide unternommen. Sie waren zwei Stunden von Roten Haus in eine Waldgaststätte gewandert, wo sich die Männer mit einem Bier erfrischten, während die Frauen Kaffee tranken und ein Stück Kuchen aßen. Es war ein wunderschöner Frühlingssonntag, und sie genossen ihn wahrhaftig. Bis zur Waldgaststätte waren sie pärchenweise umarmt gelaufen, doch nachdem sie aus der Gaststätte kamen, hakte sich Stefan bei seiner großen Schwester unter, während Astrid ihren linken Arm um Alex' Hüfte schlang. Natürlich hatte sie sich vorher von Petra die Erlaubnis eingeholt, aber eigentlich war es sogar Petras Idee gewesen. Wahrscheinlich hatten Stefan und sie etwas zu besprechen. Alex reagierte zu Astrids Verwunderung sehr schüchtern auf ihre Berührung. Er lief rot an und brachte kein Wort hervor. "Alex, du mußt nicht eifersüchtig sein. Stefan ist Petras kleiner Bruder." Astrid lachte unbeschwert. "Das ist es nicht.", erwiderte Alex. "Aber wenn ich an Stefans Stelle wäre, könnte ich es vermutlich nicht ertragen." Sie blickte Alex prüfend an und spürte, dass es ihm ernst war. "Hast du denn überhaupt kein Vertrauen in die Menschen, die dich lieben?", fragte sie. "Ich hatte noch keinen Grund, jemandem zu vertrauen, und wenn ich einmal soweit war, bin ich enttäuscht worden. Ich weiß, dass Petra mich liebt, aber ich habe ständig Angst, dass sie jemanden kennenlernt, der ihr mehr bieten kann." Astrid blieb stehen und schlug ihm hart auf die Schulter. "Alex, wach auf! Petra liebt dich und ihr werdet bald Zwillinge haben." Alex zog die Schultern nach oben. "Ihr denkt doch alle, es war meine Notwehr, sie zu schwängern und sie damit an mich zu binden. Aber ich liebe Petra wirklich. Ohne sie bin ich nichts. Ich darf sie nicht verlieren. Das würde ich nicht verkraften." Astrid fuhr ihm zu seiner Überraschung durch das dichte, rotblonde Haar. "Alex, ich kenne Petra nicht sehr gut. Aber ich kenne Stefan, und ich glaube, die beiden sind nicht nur Geschwister, sondern auch ein Herz und eine Seele. Du mußt Petra vertrauen. Das ist ihr sehr wichtig, und das hat sie auch verdient. Ich meine, sie hat dich geheiratet, obwohl ihr euch noch gar nicht so lange kanntet. Warum bist du so mißtrauisch?" Er antwortete nicht auf ihre Frage, und Astrid unterließ es, weiter nachzubohren. Stattdessen sagte sie. "Ist das heute nicht ein traumhafter Frühlingstag. Wir haben das beste Wetter, das man sich wünschen kann. Wir haben es uns verdient." Er nickte, froh darüber, dass sie das Thema gewechselt hatte.
Am Abend gingen sie zeitig zu Bett, weil der lange Spaziergang für Petra eine große Anstrengung gewesen und sie sehr müde war. Alex hörte ihren gleichmäßigen Atem. Petra war schnell eingeschlafen. Doch er konnte keinen Schlaf finden. Er stand noch einmal auf und genehmigte sich ein Glas Whisky. Dann blickte er noch eine Weile aus der Terassentür in den sternenklaren Nachthimmel. Nach einem weiteren Whisky legte er sich wieder ins Bett. Er schlief bald ein, aber nach wenigen Stunden erwachte er unsanft und zitterte am ganzen Körper. Er hatte geträumt, Petra wäre im Wald erschossen worden. Er lief ins Bad und wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser. Seine Albträume kehrten zurück, ausgerechnet jetzt, wo er seine ganze Kraft brauchte. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken.
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