Als die Krankenschwester Kalle Besuch ankündigte, verdrehte er genervt die Augen, weil er argwöhnte, dass es erneut sein Vater war, der bei ihm aufkreuzte. Doch als er wenig später Alex und Petra das Krankenzimmer betreten sah, hellte sich sein Blick auf. Er lächelte, wobei sein Gesicht immer noch schmerzte. Sein Freund berührte ihn sanft an der Schulter. "Kalle, was machst du denn für Sachen?", fragte er. "Ja, da ist wohl etwas schief gegangen.", antwortete Kalle. "Hallo, ihr beiden, seid gegrüßt." Auch Petra, die sich dezent im Hintergrund hielt, hob die Hand zum Gruß. "Wie geht es dir?", fragte Alex besorgt. "Schon etwas besser. Aber kannst du dir vorstellen, zwei Tage lang ging es mir so mies, dass ich mir geschworen habe, nie wieder Alkohol zu trinken." Kalle versuchte, erneut zu grinsen, doch es mißlang kläglich, so sehr schmerzte die Wunde auf seiner Stirn. "Was hat denn der Arzt diagnostiziert? Wie lange mußt du im Krankenhaus bleiben?", wollte Alex wissen. "Mindestens zwei Wochen. Ich habe mir einige Rippen gebrochen, am meisten tut mir der Kopf weh. Ich habe eine saftige Gehirnerschütterung. Ich lag zwei Tage im Koma. Mein Gott, wie konnte ich nur so dämlich sein. Ich war dermaßen sternhagelvoll, dass ich eigentlich gar nicht mehr weiß, was passiert ist." Kalle strengte es an zu sprechen, deshalb brach er abrupt ab und fuhr sich nervös über den Verband auf seiner Stirn. "Ich habe Durst.", klagte er. Alex wandte sich an Petra. "Petra, hol uns doch bitte mal was zu trinken. Auf dem Gang habe ich einen Getränkeautomaten gesehen." Das Mädchen verließ wortlos das Krankenzimmer, das Kalle mit zwei älteren Männern teilte, die beide zu schlafen schienen. Alex setzte sich auf den Rand von Kalles Bett. "Kalle", sagte er leise. "Petra macht sich große Vorwürfe, weil sie dir erzählt hat, dass Carmen einen neuen Freund hat. Sie glaubt, es ist deshalb geschehen." Alex hatte seine rechte Hand auf Kalles Schulter gelegt, während er die Worte aussprach. Kalle sah ihn mit seinen müden, blaugrauen Augen resigniert an. "Es ist wahr. Ich habe mich volllaufen lassen, weil Carmen einen Anderen hat. Aber früher oder später mußte das ja wohl so kommen. Und außerdem bin ich für den Bockmist, den ich gebaut habe, selbst verantwortlich. Es ist nicht Petras Schuld. Sie hat nichts damit zu tun. Ich habe voll Scheiße gebaut. Und zu allem Unglück haben die Ärzte auch noch meinen Vater benachrichtigt. Er war schon zweimal hier und will, dass ich wieder zu ihm ziehe." Kalle seufzte schwer. Alex plagte das schlechte Gewissen. "Wir hätten mehr Zeit miteinander verbringen sollen. Ich habe dich mit deinen Problemen allein gelassen. Ich weiß selbst nicht, warum ich den Job in Köln angenommen habe. Es bringt einfach nichts. Alex senkte den Blick. "Jetzt hör aber auf, dir auch noch Vorwürfe zu machen. Ich habe versagt. Warst du schon in deiner Wohnung? Hast du gesehen, wie ich sie heruntergewirtschaftet habe? Ich kriege mein Leben einfach nicht mehr in den Griff seit Carmen weg ist. Es tut mir leid. " Alex fuhr seinem Freund über das ziemlich wirre, schwarze Haar. "Die Unordnung ist schon wieder beseitigt. Das ist kein Thema mehr. Du kannst gern weiter bei mir wohnen. Wenn ich Glück habe, bekomme ich vielleicht einen Job in Leipzig. Petras Vater hat sich für mich eingesetzt." Alex verstummte plötzlich, weil Petra mit drei Flaschen Mineralwasser in der Tür erschien. "Das ist ja prima.", sagte Kalle, und Alex wußte nicht, ob er damit die Getränke oder Alex' Aussichten auf einen neuen Job meinte.
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