Karl und Karla

Karl und Karla sind schon seit Jahren beste Freunde. Ein unzertrennliches Duo, das passenderweise auch den gleichen Namen hat. Sie sind schon sehr lange freundschaftlich verbunden und keiner von beiden hat bisher seine romantischen Gefühle für den anderen gewagt einzugestehen. Jetzt, an einem wunderbar milden Frühlingstag, sitzen sie auf einer Bank im nahe gelegenen Stadtpark und essen ein Eis, Himbeer-und Vanilleeis, das Karla besonders gern mag und lassen die Seele baumeln. Sie hatten sich entschieden, einen gemütlichen Nachmittag im Park zu verbringen und dann am Abend ins Kino zu gehen.

Während sie so da sitzen und die Wolken beobachten, bemerkt Karl die vielen Vögel, die fröhlich über und im Park fliegen und sich im Liebesrausch hinterherjagen. „Schau mal, Karla, wie die Vögel miteinander umgehen“, sagt er und deutet auf ein Taubenpaar, das sich liebevoll aneinander kuschelt. „Ja, das ist wirklich süss“, erwidert Karla, während sie insgeheim wünscht, Karl würde ähnlichen Mut aufbringen und ihr solche Zärtlichkeiten zukommen lassen. Sie seufzt leise vor sich hin und richtet ihren Blick auf ein Amselmännchen, das offensichtlich gerade ein beeindruckendes Liebeslied für sein Auserwählte trällert. Karl räuspert sich nervös.

„Ich frage mich, wie es wäre, so mutig wie eine Amsel zu sein“, murmelt er mehr zu sich selbst als zu Karla. Doch sie hört es und kann ein Lächeln nicht unterdrücken. „Ja, oder wie diese Enten dort“, fügt sie hinzu und zeigt auf ein paar Enten, die spielerisch und verliebt im Teich paddeln. „Sie scheinen überhaupt keine Angst zu haben, ihre Gefühle zu zeigen“, ergänzt Karla. Die Minuten vergehen und während sie weiter die erotischen Eskapaden der Tiere beobachten, wird der Elefant im Raum immer größer. Beide wissen, dass sie diese Spannung irgendwann werden auflösen müssen, aber keiner will den ersten Schritt wagen.

„Weißt du Karl“, beginnt Karla zögernd, „manchmal beneide ich die Tiere, sie machen einfach, was sie fühlen, ohne sich Gedanken zu machen.“ „Du hast Recht“, sagt Karl und versucht nicht zu sehr ins Schwitzen zu geraten.
„Ich meine, wenn eine Amsel es kann, warum dann nicht auch wir Menschen?“ Eine plötzliche, verlegene Stille legt sich über die beiden. Karla fühlt, wie ihr Herz schneller schlägt und Karl sieht aus, als würde er jeden Moment einen Nervenzusammenbruch erleiden. Doch dann passiert etwas Unerwartetes. Ein frecher Spatz landet direkt auf Karls Knie und zwitschert lauthals ihnen entgegen. Beide brechen in ein befreiendes Gelächter aus. Der Spatz, der offensichtlich mehr Mut hat als sie beide zusammen, springt auf Karlas Schulter und zwitschert weiter munter drauflos, als wolle er ihnen sagen: „Seht, so schwer ist das doch gar nicht!“ Mit sehr viel Mut und einem neuen Lächeln im Gesicht nimmt er schließlich Karlas Hand, „Wir sollten uns ein Beispiel an den Vögeln nehmen“, sagt er sanft und gibt ihr vorsichtig einen Kuß auf die Wange. Karla nickte und ihre Wangen werden rosig.
„Vielleicht sollten wir das.“ Und während die Vögel fröhlich über ihren Köpfen singen, tanzen und ihrer Liebeszeremonie nachgehen, nehmen Karl und Karla sich endlich den Mut, ihre Gefühle zueinander und ihre Liebe einzugestehen.

Sie finden, daß es höchste Zeit ist, ihrer Freundschaft einen neuen, aufregenden und erfüllenden Flügelschlag zu verleihen.
Der Kinobesuch wurde auf später verschoben.

© Hartmut Otto