Es war die Aufgabe meines Vaters, einen Weihnachtsbaum zu besorgen, ihn auszurichten und am Heiligabend im Wohnzimmer zu schmücken. Einmal, da war ich noch ein ganz kleines Mädchen, kam mein Vater spät nach Hause. „Wo ist der Baum?“, fragte meine Mutter. Mein Vater schüttelte mit dem Kopf. „Ich war überall in der Stadt. Nirgendwo konnte ich einen Baum bekommen.“ Mir stockte fast das Herz, und ich sah, dass die Augen meiner Mutter sich verfinsterten. „O weh“, sagte sie leise. „Ich konnte bloß einige große Tannenzweige ergattern. Sie liegen draußen auf dem Balkon.“ Meine Mutter holte aus dem Keller eine große Vase und stellte die Zweige hinein. Mein Vater putzte sie später so wunderbar heraus, dass wir alle hätten zufrieden sein können. Für mich aber wurde es das traurigste Weihnachtfest, das mir in der Erinnerung geblieben ist.
Als bessere Zeiten herrschten, wurden wieder reichlich Tannenbäume in der Zeit vor Weihnachten angeboten. Mein Vater suchte stets einen besonders schönen für uns aus. Er musste gerade gewachsen sein und rundherum gleichmäßig verteilt Zweige haben. Zu Hause entfernte mein Vater mit einer Säge die ungünstig stehenden und alle, die zu weit an der Unterseite gewachsen waren. Dann wurde der Baum in einen Ständer eingepasst. Wir Kinder durften zusehen und sagen, ob der Baum gerade im Ständer stand. Danach wurde der Stamm mit Schrauben fixiert. Geschützt in einer Ecke auf unseren Balkon stand der Baum nun an der frischen Luft und wartete auf den Heiligabend. Jeden Morgen führte mein erster Gang zum Balkon, um nachzusehen, ob der Baum noch dort war. Ich hatte schrecklich Angst, dass ihn jemand stehlen könnte und wir abermals ein Weihnachtsfest ohne Baum erleben mussten.
Am Morgen des 24. Dezember war der Baum vom Balkon verschwunden. Das bereitete mir aber keine Sorgen, denn ich wusste, dass er ins Wohnzimmer geholt worden war. Die Tür zu dem Raum war plötzlich verschlossen, und ab Mittag hörte man geheimnisvolles Rascheln, Knistern und Rumoren dahinter. Ich wollte durch das Schlüsselloch einen Blick ins Zimmer werfen, doch Fehlanzeige. Es war abgedeckt. Unter der Tür kroch, als es früh zu dunkeln begann, ein Lichtschein hervor. Ich glaubte, dass jetzt die Engel den Baum schmückten und ihm auch die wunderschönen roten Kerzen aufsteckten. Engel waren es in meiner Vorstellung natürlich auch, die dem Christkind halfen, die Geschenke darunterzulegen.
Dann war der Schein unter der Tür verschwunden und ebenso das Rascheln. Ich war inzwischen derart aufgeregt, dass mir übel wurde. Meine Mutter zog mich warm an, denn es war draußen kalter Winter. „Komm“, sagte mein Vater, „wir wollen schauen, ob wir den Weihnachtsstern entdecken.“
Wir gingen Hand in Hand hinaus ins freie Feld und blickten zum Himmel. Dort leuchteten am dunklen Himmel still mit ihrem unbeschreiblichen Licht unzählige Sterne. Da wurde es ganz friedlich in mir und meine Aufregung legte sich. Als wir in die gemütlich warme Wohnung zurückkehrten, dauerte es nicht mehr lang, bis im Weihnachtszimmer das Glöckchen zur Bescherung rief.
In allen Jahren meiner Kindheit war es der Weihnachtsbaum in seinem Schmuck und in dem mystischen Schein der Kerzen, der mich bannte. Ich stand staunend und konnte mich an der Schönheit nicht sattsehen, bis meine Mutter sagte: „Willst du denn nicht schauen, was dir das Christkind gebracht hat?“
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