Sie wusste, dass sie eine Seiltänzerin war, die jeden Moment vom Seil herunterfallen konnte. Sie arbeitete gern. Der Job gefiel ihr. Er war abwechslungsreich, und sie erhielt jeden Monat pünktlich ihren Lohn. Sie war Buchhalterin. Das einzige, was sie hasste, war, Mahnungen schreiben zu müssen, besonders an Kunden, die, wie sie ahnte, nicht in der Lage waren, ihre Rechnungen zu bezahlen, auch wenn sie es gern getan hätten. Sie kannte diese Misere. Es hatte eine Zeit in ihrem Leben gegeben, da versteckte sie sich, wenn der Briefträger klingelte. Ausgerechnet sie, die früher so gern Post erhielt. Aber sie ahnte, dass er wieder gelbe und blaue Briefe bringen würde und ihre Unterschrift wollte. Das Bekenntnis, dass sie nicht in der Lage waren, ihre Schulden zu begleichen. Es war nicht ihre Schuld, auch nicht die ihres Mannes oder seiner Firma. Er und seine Angestellten hatten gearbeitet, aber kein Geld vom Auftraggeber erhalten. Und der war aufgrund seiner dunklen Machenschaften in der Lage, seinen Anwalt zu bezahlen. Ihr war klar, dass diese Firma nie einen Gedanken daran verschwendet hatte, ihre Subunternehmer zu entlohnen.
Dann standen sie vor dem Nichts. Und wenn die Kinder nicht gewesen wären... Aber sie hatten es geschafft. Sie hatten sich ein neues Leben fern von der Heimat aufgebaut. Es war ihr gelungen, diesen Job zu bekommen. Sie musste dankbar sein. Und sie durfte es nicht zulassen, dass sie die Firma, die ihr die finanzielle Existenz ermöglichte, in Gefahr brachte. Aber das tat sie nicht. Und sie konnte es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren, die Forderungen eines Kunden an den Rechtsanwalt zur Eintreibung weiterzuleiten, der nicht zahlen konnte, weil er alt oder krank war und kein Geld besaß. Sie hatte ein paar Leichen im Keller. Leute, die ihr versprachen zu zahlen, sobald das ihnen möglich wäre. Und sie deckte diese Menschen. Fast alle hielten schließlich ihr Wort, nur einige wenige nicht. Wenn es herauskam, dass sie diese Leute ungeschoren davon kommen ließ, in der Hoffnung, sie würden ihr Versprechen einlösen, war sie geliefert. Sie würde wahrscheinlich ihren Job verlieren und noch einmal von vorn anfangen müssen, falls sie dazu in der Lage war. Die Kinder waren jetzt erwachsen und konnten für sich selbst sorgen. Aber sie brachte es nicht übers Herz, diese Leute der Justiz auszuliefern. Sie gab sich die größte Mühe, den Anforderungen ihres Jobs gerecht zu werden. Manchmal starb ein Kunde und dann erhielt sie von dem Nachlassverwalter die Nachricht, dass er einen überschuldeten Nachlass zu verwalten habe, der nicht einmal für die Begräbniskosten aufkommen konnte. Dann wusste sie, dass sie richtig gehandelt hatte. Und außerdem hatte sie ihrem Chef die Kosten für den Rechtsanwalt erspart.
Sie würde so weitermachen, auch wenn ihnen damals niemand eine Chance gegeben hatte. Und trotzdem begleitete sie diese ständige Angst.
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